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Großvaters Lied, die „Schwanenwirtschaft“ und das bayrische Bier

Autor: Buschn-Hans
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Da sitze ich wieder mal - mürrisch, zerzaust und mit etwas „Bodennebel“ im Hirn - am Frühstückstisch. Die „Beste aller Ehefrauen“, wie Ephrahim Kishon sagen würde, räumt gerade meine letzten Hinterlassenschaften vom gestrigen Abend weg. Weizenglas, leere Bierflaschen und die zugehörigen Kronenkorken. Im Gesicht diese liebenswerte Mischung aus Empörung (sie hat die Flaschen gezählt) und Schicksalsergebenheit (reden nutzt nichts, der „Alte“ ändert sich ja doch nicht). Beim Versuch, ihre konflicktträchtige Mimik zu ignorieren, bleibt mein Blick an den gerahmten Liedversen auf einem Wandbild hängen. Und - trotz der Nebelschwaden - trifft mich der Blitz der Erkenntnis! Die Liebe zum Bier, die wurde mir in die Wiege gelegt! Die habe ich schon zusammen mit der Muttermilch eingesogen. Garantiert und von Zeitzeugen sogar bestätigt! Wie ich das allerdings der „Besten aller Ehefrauen“ überzeugend erklären könnte, das bleibt weiter „nebulös“ verschwommen.

Der erste Vers des wohl schon uralten Liedes an der Wand lautet: „Ja, ich bin zufrieden, geh' es, wie es will. Unter meinem Dache leb ich froh und still. Mancher Mensch hat alles, was sein Herz begehrt. Doch ich bin zufrieden, das ist Goldes wert!“ Mein Großvater mütterlicherseits hat es öfter gesungen. In trauter Runde im Wirtshaus und auch wenn er - wieder mal „a weng houch“ hatte und - heimschwankte. An ihn, den Christian Bäumler, oder - wie man ihn in Kohlberg kannte - den „Busch-Christl“ erinnern sich gelegentlich noch einige der Älteren. Er lebte mit Frau und zwei Töchtern in dem kleinen Häusl oberhalb des evangelischen Friedhofs. War Waldarbeiter, Totengräber und „Kouhpritscher“, wie man die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe bei uns nannte. Die „Bauern“, das waren die Großen. Er starb 1950, als ich gerade mal zwei Jahre alt war. Vererbt hat er - mir zumindest -die Liebe zu unserem bayrischen Nationalgetränk. Die ist genealogisch in meiner DNA-Spirale verankert. Samt Hopfen, Malz, Wasser und Reinheitsgebot.

Reichtum war im „Buschnhäusl“ eh keiner zu finden. Viel mehr die Erkenntnis der zweiten Liedstrophe. „Was nützen dem Kaiser die Schlösser? Dem König die Krone, das Land? Sie machen die Sorgen nur größer und wünschen sich öfters mein' Stand!“ Trotz armer Verhältnisse hat es doch immer gereicht, daß er zu seinem abendlichen Seidl Bier in die Gastwirtschaft „Zum Weißen Schwan“ gehen konnte. Dort, auf der Bank am Ofen war sein Stammplatz. Da rauchte sein Pfeiferl mit dem „Knaster“ und da sang er gelegentlich seine Lieder. Auf eben dieser Ofenbank lernte ich damals, daß es neben Muttermilch auch noch andere Flüssigkeiten auf der Welt gibt. Denn der Großvater schob das kleine Bürscherl im alten Kinderwagen gleich neben den Biertisch. Der „Schwan“ war damals schon eine gut besuchte Wirtschaft. Waren da doch gleich vier blitzsaubere junge Wirtstöchter im heiratsfähigen Alter! Daß die den kleinen Hanserl vom Busch-Christl bemutterten, das ist klar. „Dou, af derer Oferbenk hom ma di asputzt, wennst eigschissn ghatt houst“, wurde mir später oft von ihnen erzählt. Als junger Mensch habe ich mich deswegen manchmal „gscheniert“, wie wir sagen. Aber schon längst weiß ich, daß dies eben auch ein Teil meiner Lebensgeschichte ist. Und ich bin dem Großvater dankbar, daß er mich damals ins Wirtshaus mitgenommen hat. Was hätte ich da sonst alles versäumt! Ganz sicher wohl den ersten Schluck Bier im Leben.

Dabei wäre dem „Christl“ einmal beinahe das Feierabendseidl verwehrt worden. Als zu Kriegsende die amerikanischen Truppen - Gott sei Dank kampflos - in Kohlberg einmarschierten, haben sie die Schwanenwirtschaft zum örtlichen Hauptquartier erwählt. Dies aber wohl aus strategischen Überlegungen und nicht wegen der Wirtstöchter. Doch damit war die gemütliche Wirtsstube „Restrictet Area“ und für Zivilpersonen der Zutritt verboten. Großvater mit der blauen Schürze vor dem Hemd und dem Pfeiferl im Mund kam trotzdem zum Abendseidl. Der Wachposten an der Tür schubste ihn barsch zurück. Ein mutiger junger Mann aus Weiherhammer versuchte dann dem wachhabenden Offizier in gebrochenem Englisch zu erklären, daß dieser Opa jeden Tag hier sitze und gewiß kein Spion oder so was sei. Niemand weiß, was den Soldaten bewogen hat, darauf: „Okay, come in!“ zu sagen. Da saß dann der alte Mann allein auf der Bank inmitten des militärischen Treibens. Rauchte, trank sein Bier und schaute verwundert zu. Abend für Abend - wie schon immer.

Ob ihm dabei ein weiterer Vers des Liedes in den Sinn kam? „Eine Pyramide zieret nicht mein Grab. Und auf meinem Sarge prangt kein Marschallstab. Friede aber wohnet um mein Leichentuch. Ein paar Freunde weinen, und das ist genug“. Nachdem der Busch-Christl seine Augen für immer geschlossen hatte, geriet auch bald „sein“ Lied in Vergessenheit. Niemand wußte mehr den ganzen Text und die Melodie war schon gar nicht auf Papier. Der mutige junge Mann hat übrigens etwas später eine der Wirtstöchter zum Traualtar geführt.

Für mich begann die bittere Zeit der ersten „Abstinenz“. Die Großmutter trank nur (scheußlichen) grünen Tee und mein lieber Vater, der „Buschn-Willi“ war kein fleißiger Wirtshausgeher. Der „Schwanenwirt“ zog mich aber wenig später schon wieder magisch an. War doch in der Wirtsstube der erste Fernseher des Ortes aufgestellt. Fiebernd vor Aufregung verfolgten wir Kinder am Sonntag nachmittag in Schwarz-Weiß die Abenteuer von „Fiury“, ritten mit den Bonanza-Brüdern über die Shilo-Ranch und süffelten sparsam unsere Limo, damit sie ja bis zum Ende der Sendung reichte. Unvergessen auch die Kinderfaschingsfeiern auf dem Tanzboden im Obergeschoß, wo der „alte Huber“ auf einem Stuhl stand und wir Schulkinder nach der Knackwurst an der Leine schnappten.

Das Buschn-Häusl ist immer noch so klein wie zu Großvaters Zeiten. Nur den Kuhstall haben meine Eltern in den 50er Jahren aus dem Haus rausgenommen und neu gebaut. Der „Busch-Christl“ könnte also immer noch singen: „Geben auch Paläste mir mein Obdach nicht. Auch in meine Hütte scheint der Sonne Licht. Wo die Freude wohnet, wohnt und schläft man froh. Ob auf Federbetten oder auf dem Stroh“. Und der „Gasthof zum Schwan“ in Kohlberg ist auch noch im Familienbesitz. Hansjörg und Gerda Zimmermann haben in fleißiger Arbeit ein gutgehendes Speiselokal geschaffen, welches sehr zu empfehlen ist.. Die Wirtsstube von einst ist fast unverändert, nur den Kachelofen mit der Ofenbank, den gibt es leider nicht mehr.

Zum Text und zur Melodie von „Großvaters Lied“ bin ich dann doch gekommen. Fast so, wie die Jungfrau zum Kind. Eines Abends auf der Heimfahrt im Auto klang es in Bayern eins aus dem Radio. Ich geb's zu, ich habe angehalten und nur ergriffen zugehört. Am nächsten Tag dann den Sender angerufen und hatte auch gleich den „richtigen“ Mann dran. „Jou freili kenn i des“ lachte er in seinem warmen fränkischen Dialekt und sang es mir sogar am Telefon vor. Er hat mir die Notenblätter zuschicken lassen und das Lied ein paar Monate später - zum mitschneiden am Tonband - nochmal gesendet. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar.

Manchmal, wenn ich müde von der Arbeit oder aus dem Garten reinkomme, dann höre ich (fast) den Großvater singen: „Leuchten keine Kerzen um mein Abendmahl. Funkeln fremde Weine nicht im Goldpokal. Findet man doch immer, was man braucht zur Not. Süßer schmeckt im Schweiße mir mein Stückchen Brot“. Daß ich dann ein Seidel Bier (oder mehr) brauche, um mit dem „Busch-Christl“ in Gedanken anzustoßen, das kann man sich doch vorstellen. Aber wie sagt man sowas der „Besten aller Ehefrauen“?

Buschn-Hans